arrow-left arrow-right nav-arrow Login close contrast download easy-language Facebook Instagram Telegram logo-spe-klein Mail Menue Minus Plus print Search Sound target-blank X YouTube
Inhaltsbereich

Aktuelles

25.09.2020 | Diskussionspapier

Soziale und liberale Rechtspolitik mit der SPD

„Wenn ich sagen soll, was mir neben dem Frieden wichtiger seials alles andere, dann lautet meine Antwortohne Wenn und Aber: Freiheit.“Willy Brandt (1987)IDie SPD bleibt standhaft, wenn derGrundkonsens der demokratischen Parteien ins Wanken gerät

Die letzten Monate haben deutlich gezeigt, dass sozialdemokratische Politik für denfreiheitlichen Rechtsstaat deutlicher sichtbar werden muss.

Bislang hatten die demokratischen Parteien in Deutschland ein unumstößliches gemeinsamesZiel: Eine nationalistische, völkische, antisemitische und rechtsstaatsfeindliche Partei darf niewieder Einfluss auf die Bundesrepublik Deutschland bekommen. Durch das Handeln vonCDU und FDP in Thüringen ist dieses gemeinsame Ziel ins Wanken geraten: Als es um dieErlangung von Regierungsmacht ging, richteten CDU und FDP ihr Handeln nicht mit dernötigen Sorgfalt und Konsequenz an der Sicherung der Demokratie aus. Anders die SPD: siehat sich als zuverlässige Hüterin der Demokratie bewährt und dem Angebot widerstanden,eine Wahlentscheidung zu akzeptieren, die nur durch die Parteien rechts von ihr zustandegekommen ist. Die SPD steht für Demokratie. Sie verteidigt und stärkt die Bürgerrechte. DieSPD verbleibt als Garantin sozialer und liberaler Rechtspolitik.


II.Wir sind die Partei der Freiheit

Die sozialdemokratische Bewegung wurzelte von Anfang an im Gedankengut der Aufklärungund des Liberalismus. Liberale Grundrechte und eine Herrschaft des demokratisch gesetztenRechts gehörte seit jeher zu den Kernforderungen der Arbeiter*innenbewegung, wohl auch,weil sie gerade in ihren Anfängen alltäglich erlebte, was Ohnmacht und Rechtlosigkeit gegeneine übermächtige Obrigkeit bedeutet. Allerdings blieb die Sozialdemokratie nicht bei einerForderung nach formaler Gleichheit vor dem Gesetz stehen, sondern bestand darauf, dassgleiche Freiheit zusätzlich auch tatsächlich, also materiell, eingelöst werden muss. Derdemokratische Sozialismus vollendet den klassischen Liberalismus, aber er verwirft ihn nicht.Im Gegenteil: Für die SPD als Partei der Freiheit sind die Forderungen des Liberalismus Teilihres programmatischen Kerns. Der Kampf für starke Grundrechte und die Herrschaft desdemokratisch gesetzten Rechtes gehören zur sozialdemokratischen Identität.

Die deutsche Sozialdemokratie war immer treibender Teil einer Freiheitsbewegung. „Freiheit,Gleichheit, Brüderlichkeit”, die Grundforderungen der Französischen Revolution, sind unsereGrundwerte.1 „Zur Freiheit“ strebte nicht nur das besitzende Bürgertum, sondern ebenso dieabhängige Arbeiterschaft, aus der die SPD hervorgegangen ist. Der Sozialdemokratie ging esin ihrer Geschichte immer auch darum, die rechtlichen und materiellen Voraussetzungen derFreiheit durchzusetzen und zu bewahren. Um Freiheit zu gewinnen, genügte es nicht, dass dieArbeiter „die Ketten der Sklaverei“ abwerfen konnten. Sie mussten die Befähigung zu einemselbstbestimmten Leben gewinnen, sie mussten sich als Bürgerinnen und Bürgeremanzipieren! Dafür ist eine aufgeklärte, humanistische Bildung Voraussetzung, eineBildung, die allen Menschen gleichermaßen offensteht.

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich das Lebensgefühl vieler Menschen deutlichgewandelt: Die gesellschaftliche Entwicklung nicht nur in unserem Land, sondern in ganzEuropa und zumindest in allen westlichen Industrienationen, hat zu einem starkindividualistischen Selbstverständnis der Menschen geführt. Die individuellen Freiheitsrechtesind für sie selbstverständliche Grundlage für ihre Lebensplanung und für ihre Verortung imKontext einer globalisierten Welt. Die Emanzipation vieler Menschen hat deutlichzugenommen, nicht zuletzt durch das sozialdemokratische Gesellschaftsmodell und dieErfolge bei der Umsetzung des Aufstiegsversprechens für alle und jede*n. Die neuentechnologischen Möglichkeiten weisen einen Weg zur Erweiterung dieses Potentials. DieseMenschen sind wichtige Ansprechpartner für die Gestaltung der Gesellschaft von morgen.Viele von ihnen sind offen für den Gedanken, dass ihre Freiheit nur im Zusammenhang einersolidarischen Gesellschaft verwirklicht werden kann - in einer Gesellschaftsozialdemokratischer Prägung, ähnlich der, aus der sie kommen. Ihre gesellschaftlicheTeilhabe und ihr sozialer Aufstieg waren nur deshalb gelungen, weil die gesellschaftlichenRegeln dies für alle ermöglichen und diese Regeln sie gleich allen anderen fördern. KeineFreiheit ohne Gleichheit - Verwirklichung von Freiheit aller ist ohne gemeinsame Teilhabenicht denkbar.

Dieses Freiheitsverständnis führt immer dann zu Enttäuschungen, wenn eben diese Menscheneine gesellschaftliche Ent-Solidarisierung erfahren, verbunden mit der Aufforderung, sich umsich selbst zu kümmern. Daher muss die SPD Aufstieg und Fortschritt in einen passenden undangemessenen gesellschaftlichen Kontext stellen. Die SPD muss Staat so gestalten, dass erunter diesen Voraussetzungen auch solidarisches Handeln für andere fördert, dass er viel,potentiell mehr Freiheit ermöglicht, sie sozial in die Freiheiten anderer einpasst und dabeiMissbrauch verhindert.

Der freiheitliche Sozialstaat muss für Sozialdemokrat*innen wieder einErmöglichungsinstrument für reale Freiheit sein. Bürgerrechte müssen als zentrale Bausteinedes sozialdemokratischen Gesellschaftsmodells erkannt werden, das individuelle Freiheitnicht nur als Abwehrrecht gegen den Staat versteht, sondern auch ihre Entfaltung sichert,gleichermaßen für alle die sozialen Voraussetzungen des Freiheitsgebrauchs überhaupt erstgewährleistet. Nach diesem Modell kann der gesellschaftliche Zusammenhalt auch durch dieeinzelnen Bürgerinnen und Bürger selbst verantwortlich gestaltet werden. Dieses Modell kannein Beitrag dazu sein, dass wir mit einer lagerübergreifenden Strategie unter Einschluss derpolitischen Mitte erfolgreich die nächste Bundestagswahl bestreiten können.Wir sind die Partei der Freiheit - und wir wollen die Freiheit für alle! Teilhaberechte, Freiheitvor staatlichen Eingriffen und die Freiheit, die erst durch aktives Tun des Staates entsteht.


III.Die Freiheit ist in Gefahr

Freiheitliche Politik schützt den Einzelnen und seine Freiheitsrechte vor Übergriffen desStaates selbst und vor Rechtsverletzungen durch Dritte. Deswegen ist Freiheit für unserpolitisches System und das Funktionieren der Demokratie das zentrale Thema. Freiheitsrechtemüssen immer wieder gegenüber Gefährdungen verteidigt werden. Es zeigt sich vor allem inden letzten Monaten, dass es ein Irrtum ist zu meinen, die liberale Demokratie miteinklagbaren Freiheitsrechten sei nicht gefährdet - und der liberale Rechtsstaat sei schonvollendet.

1.In der aktuellen Corona-Krise werden Freiheitsrechte zu Recht zum Schutz des Rechts aufLeben und körperliche Unversehrtheit, zur Abwehr von Seuchengefahren sowie der Gefahreiner Überlastung des Gesundheitssystems erheblich eingeschränkt. Die zur Bekämpfung derPandemie ergriffenen staatlichen Maßnahmen führen in einem bislang nicht für möglichgehaltenen Umfang zu massiven Grundrechtseingriffen. Das Land lebt im „Shutdown“. DieSchulen, die Theater, die Kinos, Museen, die Säle und Stadien, die Kaufhäuser, Kindergärtenund die Gasthäuser sind leergeräumt. Die Bewegungsfreiheit der Menschen wurdeeingeschränkt, in die Gewerbefreiheit und das Recht auf Freizügigkeit im Bundesgebieterheblich eingegriffen. Auch die Versammlungs- und Religionsfreiheit sind betroffen. Es gibtweitgehende Kontaktverbote. Das leuchtet angesichts der Bedrohung für große Teile derBevölkerung an Leib und Leben, potentiell für jede und jeden, der von den beschränkendenMaßnahmen betroffen ist, nahezu allen ein.

Dennoch gibt es Stimmen, die meinen, diese Maßnahmen würden verhängt, ohne dass diefreiheitssichernden Anforderungen und Verfahren des Rechtsstaates hinreichend in Betrachtgezogen werden.

Gerade in einer solchen Situation besteht ein erhöhtes Bedürfnis nach eindeutigenEntscheidungszuständigkeiten, Normenklarheit und vor allem der Wahrung des Prinzips derVerhältnismäßigkeit. Der Rechtsstaat ist keine Schönwetter-Veranstaltung, sondern mussunbedingt auch in der Krise ein notwendiger Garant von Freiheit sein. Es muss sichergestelltbleiben, dass grundsätzlich die gewählten Volksvertreter, die Parlamente und nicht allein diedie Exekutiven im Wege der Rechtsverordnungen über Inhalt, Zweck und Ausmaß vonEingriffen in unser aller Freiheit entscheiden. Klare Normen sind die Voraussetzung dafür,dass Menschen den Sinn der Regeln einsehen und nicht Gefahr laufen, unabsichtlich gegensie zu verstoßen. Das gilt insbesondere dann, wenn selbst fahrlässige Zuwiderhandlungen mitStrafe bedroht sind.

Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit schützt nicht nur vor übermäßigen Freiheitseingriffen,sondern sorgt auch für eine dauerhafte Akzeptanz. Grundrechtseinschränkungen müssennicht nur ein legitimes Ziel verfolgen – was in der gegenwärtigen Situation mit dem Schutzvon Leben und Gesundheit der Bevölkerung nicht zweifelhaft ist. Die ergriffenenMaßnahmen müssen darüber hinaus zur Erreichung dieses Ziels geeignet, erforderlich undangemessen sein. Dies erfordert die Prüfung, ob es nicht mildere Maßnahmen gleicherEffektivität gibt. Die politischen Maßnahmen Ende März erfolgten aus nachvollziehbarenGründen angesichts des großen Zeitdrucks recht pauschal. Wegen der Schwere und Dauer derGrundrechtsbeschränkungen ist es nun aber geboten, über Alternativen und möglicheLockerungen nachzudenken, ohne das Schutzziel und seine effektive Erreichung aus denAugen zu verlieren. Eine ständige Beobachtungs- und Prüfungspflicht hinsichtlich einermöglichen Lockerung der Verbote ist verfassungsrechtlich geboten. Verhältnismäßigkeitverlangt, dass beschränkende Maßnahmen in der Dauer auch nur so weit ausgedehnt werden,wie die damit bekämpfte Gefahr dies erfordert und es angemessen ist. Gerade in Zeiten großerVerunsicherung sind rechtsstaatliche Verfahren und Anforderungen kein Hindernis, sonderndie Voraussetzung dafür, dass zur richtigen Zeit die richtigen Maßnahmen getroffen werden.Das hohe Maß an Akzeptanz der bislang getroffenen Maßnahmen ist ein Gradmesser auch fürihre Nachvollziehbarkeit und Verhältnismäßigkeit. Die Krise bietet die Möglichkeit, dieTragweite der Eingriffe im Nachhinein zu evaluieren, sie an den Maßstäben der Verfassungabzugleichen und das System für die Zukunft weiter zu entwickeln. Die aktuelle Situationstellt die Aufgabe an die Gesellschaft, auch in dieser Ausnahmesituation die freiheitlichdemokratischeRechtsordnung zu bewahren und in ihr, wenn es soweit ist, Schritt für Schrittden Weg aus der Krise heraus und hinein in gute demokratische Normalität zu finden -hinein in die Freiheit.

2.Im politischen Alltag, nicht nur in Zeiten der Pandemie, ist so oft davon die Rede, Freiheitmüsse gegen Sicherheit abgewogen werden. Damit werden die Prinzipien unserer zutiefstsozialdemokratisch geprägten Verfassung verkannt: Eine Abwägung von Freiheit gegenSicherheit kann es nie geben, es muss eine Abwägung von Sicherheit für Freiheit sein.Sicherheit ist nicht Selbstzweck, sondern Mittel, um Freiheit zu ermöglichen. DieGewährleistung von Sicherheit ist für die Gesellschaft und den Einzelnen nur sinnvoll,solange und soweit sie der Ermöglichung, Entwicklung und Entfaltung von Freiheit dient.Wir treten daher für eine grundrechtsorientierte Rechtspolitik ein, welche dieses geordneteVerhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit wahrt. Dabei muss der Grundsatz derVerhältnismäßigkeit ernst genommen werden: Sicherheit muss Freiheit schaffen! Freiheit istder Maßstab, an dem sich alles auszurichten hat.

In den letzten Jahren sind eine Vielzahl von Eingriffsrechten des Staates geschaffen worden,ohne dass ernsthaft evaluiert worden wäre, ob diese Rechte geeignet und erforderlich sind,sicherheitspolitische Ziele zu erreichen. Eine solche Evaluation muss jetzt erfolgen. Bis dahinsollte der Fokus darauf liegen, den Vollzug der bestehenden Gesetze zu verbessern.


3.Eine freiheitliche Rechts- und Innenpolitik lehnt es ab, Bürgerinnen und Bürger unter einenGeneralverdacht zu stellen. Daher lehnen wir auch die anlasslose Sammlung von privatenDaten ab. Der Zugriff auf Daten bedarf eines Anlasses im Einzelfall und eines klarenVerfahrens mit richterlicher Kontrolle. Dies gilt erst recht und vor allem jetzt, da der teilweiseungehinderte Zugriff des Staates auf Daten der Bürgerinnen und Bürger auch in Demokratienerfolgt.

4 .Der Schutz vor willkürlichen Verhaftungen („Habeas Corpus“) ist eines der ältestenFreiheitsrechte der Welt. Im Grundsatz darf ein Freiheitsentzug in einem Rechtsstaat nur dannin Betracht kommen, wenn ein Gericht in einem ordnungsgemäßen Verfahren einehinreichend gewichtige Verfehlung festgestellt und eine entsprechende Sanktion verhängt hat.Inhaftierungen im Vorfeld einer rechtskräftigen Verurteilung dürfen nur unter strengenVoraussetzungen in Betracht kommen. In der Rechtspolitik müssen entsprechendeRegelungen die rechtfertigungsbedürftige Ausnahme bleiben.

Strafrecht ist Ultima Ratio. Allein schweres Unrecht darf Anknüpfungspunkt strafrechtlicherSanktionen sein. Verhältnismäßigkeit misst sich an der Tat, nicht anVerfolgungsmöglichkeiten. Strafrecht gilt für alle gleich: Es darf nicht vom Geldbeutelabhängen, ob ein Verfahren durchgeführt oder gegen Zahlung eingestellt wird. Gerade imBereich der Wirtschaftskriminalität darf hoher Ermittlungs- und Verhandlungsaufwand nichtdazu führen, dass Straftaten nicht konsequent verfolgt werden. Vielmehr müssen Justiz undPolizei so ausgestattet werden, dass eine sachgerechte Verfolgung solcher Straftatentatsächlich möglich ist. Verfehlungen mit geringem Unrechtsgehalt müssen ebenfallssanktioniert werden. Dabei sollte aber stärker als bislang in Betracht gezogen werden, mitaußerstrafrechtlichen Mitteln zu reagieren. Haftstrafen sollten nach Möglichkeit vermiedenwerden. Leitend muss stets der Gedanke sein, dass die Verbüßung der Strafe den Grundsteinfür die Wiedereingliederung - also die Teilhabe an allen Freiheiten - in unsere Gesellschaftlegt.

5.Nicht nur in unserem eigenen Land müssen wir auf Demokratie und Freiheitsrechte wiederstärken achten und hinweisen, auch die Lage in der Europäischen Union macht uns Sorgen.Die Entwicklung in einigen EU-Mitgliedsstaaten stellt die in den Verträgen vereinbartenStandards für Rechtstaatlichkeit, Freiheitsrechte und Demokratie neuerlich infrage. In Ungarnsind die Freiheitsrechte, insbesondere die Informationsrechte und die Freiheit derWissenschaft, die Freizügigkeit für die Bürgerinnen und Bürger Europas, eine offeneDemokratie und die Unabhängigkeit der Justiz gefährdet. Aktuell hat der Ministerpräsidentdie Corona-Krise zum Anlass genommen, sich vom Parlament das Recht übertragen zulassen, ohne Parlament, nur durch Dekrete zu regieren und es auch nicht dem Parlamentvorzubehalten, über das Ende des Ausnahmezustands zu entscheiden. In Polen hat dieparlamentarische Mehrheit in verfassungswidriger Weise die Unabhängigkeit Justiz in Gefahrgebracht. Die Medienfreiheiten werden eingeschränkt. Trotz des Ausnahmezustands sollenPräsidentschaftswahlen stattfinden, um dem Amtsinhaber die Mehrheit zu sichern, die durcheinen tragischen Ausgang der Krise gefährdet werden könnte.

Die Instrumente in den Verträgen reichen nicht aus, Vertragsbruch und Verstöße vonMitgliedern gegen die Beitrittsvoraussetzungen erfolgreich zu sanktionieren. Die EuropäischeUnion muss Wege finden, die Kopenhagener Kriterien für eine neue Mitgliedschaft auchwirksam auf die Mitglieder anzuwenden, die sich nach dem Beitritt nicht daran halten. DieseWege müssen konsequent beschritten werden.

6.Auf internationaler Ebene ist über Jahrzehnte ein multilaterales Geflecht von Institutionenund Verträgen entstanden, das langfristig weltweit zuverlässig Rechtsstaatlichkeit, dieHerrschaft des Rechts („Rule of Law“) und die Unabhängigkeit der Gerichte von Regierungenund privaten Interessen sicherstellen soll. Einige Staaten haben daran aktuell das Interesseverloren; so hat z.B. die Gefahr für Regierungsmitglieder, für Kriegsverbrechen strafrechtlichhaftbar gemacht zu werden, dazu geführt, dass wichtige Staaten dem Vertrag von Rom überden ICC nicht beigetreten sind oder ihn nicht ratifiziert haben.

Auch die Entwicklung des internationalen Handelsrechts droht, grundlegende Standards fürRechtstaatlichkeit in Frage zu stellen. Die WTO hat an Bedeutung verloren;Handelsabkommen neuer Art sollen Sondergerichte für Investoren schaffen, welche dieformale Gleichheit vor dem Gesetz aufheben und die Entscheidungen demokratischerParlamente unter den Vorbehalt des Investoren-Sonderrechts stellen.
IV.Ein freiheitliches und soziales Profil entwickeln

Die SPD sollte sich auf ihr historisch gewachsenes Freiheitsversprechen aus Aufklärung,Emanzipation und sozialer Sicherheit besinnen. Wir brauchen dazu eine Debatte, welche überdie Tagesaktualität des Regierungshandelns hinausgeht und praktische Politik für mehrFreiheit in sozialer Verantwortung entwickelt. Dabei müssen wir wieder großerechtspolitische Linien definieren, anstatt uns im täglichen pragmatisch-politischenKleinklein zu verlieren. Es ist erneut an der Zeit, „Vorstellungen und Konzeptionen (zu)entwickeln, die geeignet sind, angemessen auf die veränderten gesellschaftlichen Verhältnisseund Krisenerscheinungen zu antworten“.

1.Andere Parteien haben den Wert der Freiheit aus dem Blick verloren:

Die Volkspartei CDU steckt in einer tiefen Führungs- und Ausrichtungskrise, sie ringtnachgerade um ihre sicher geglaubte Identität. Die fehlende Abgrenzung der Gesamtparteinach rechts wie auch die anstehenden Führungswechsel schwächen das Konservative.Rechtspolitik der CDU meint vorrangig Innen- und Sicherheitspolitik, restriktiv undbeschränkend, statt entwickelnd und progressiv.

Ähnlich geht es der FDP: „national-liberal“, vielleicht noch „wirtschafts-liberal“, nicht aber„bürgerrechtlich-liberal“ scheinen derzeit mögliche Optionen ihrer Entwicklung.Die Grünen springen nach wie vor zu kurz, es fehlt an überzeugenden Antworten, wie derökologische Umbau gelingen soll, ohne zugleich die sozialen Errungenschaften derGesellschaft auf dem Fundament unserer Wirtschaft in Frage zu stellen. Grüne Rechtspolitikin den Ländern beschränkt sich auf abstrakte Freiheitsforderungen und Rechtspolitik für diegebildete Mittelschicht in Städten. Sicherung von Teilhabe meint hier lediglich Teilhabederjenigen, die jetzt schon davon profitieren.

Anders als die LINKE lehnen wir einen bevormundenden Staat ab. Freiheit heißtVerantwortung selbst übernehmen und zu reflektieren, dass man selbst Entscheidungentreffen kann und muss. Der Staat als Ermöglichungsinstrument schafft dabei den Rahmen undgewährleistet die Durchsetzung für individuelle und kollektive Rechte.

2.Die SPD muss die Freiheit wieder zum Maßstab ihrer Positionen machen und so zurBürgerrechtspartei werden. Bürgerrechte sind dabei keine „Bildungsbürgerrechte“, sondernschließen tatsächlich alle Bürgerinnen und Bürger mit ein.

Nur so kann die Partei ein soziales und liberales Profil glaubwürdig vertreten. WasBürgerrechtspolitik konkret im Regierungs- und Parlamentshandeln bedeutet, darüber werdenwir inhaltlich im Einzelfall streiten und abwägen müssen. Das Ergebnis kann im Einzelfalldann auch lauten, dass wir Freiheit durch Sicherheit schaffen wollen. Maßstab dabei aber ist,was schon Willy Brandt formuliert hat: „Im Zweifel für die Freiheit!“

Wir, die SPD, haben jetzt die Chance, deutlich zu machen, dass individuelle Freiheit undsoziale Verantwortung zwei Seiten einer Medaille sind. Wir müssen die liberalen Elementeunseres sozialdemokratischen Profils schärfen. Wir müssen überzeugende Antworten auf dieveränderten Rahmenbedingungen unserer Gesellschaft entwickeln. Die SPD kann diegesellschaftliche Meinungsführerschaft und die politischen Mehrheitsfähigkeitwiedergewinnen. Der Weg dahin führt auch darüber, dass die Partei sich auf ihr liberales Erbebesinnt. Dieses liberale Erbe muss zur Maxime für konkretes politisches Handeln werden.