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Beschlüsse: Vorratsdatenspeicherung
Vorratsdatenspeicherung: Bis hierhin und keinen Schritt weiter!
Beschluss der Bundeskonferenz der AsJ 2016 in Berlin: B 7
Wir fordern die sozialdemokratischen Abgeordneten im Bundestag und in den Parlamenten der Länder sowie die sozialdemokratischen Vertreterinnen und Vertreter in der Bundesregierung und den Landesregierungen auf,
- allen Überlegungen zu Ausweitungen der Vorratsdatenspeicherung - sei es auf Zugriffsberechtigte wie das Bundesamt für Verfassungsschutz, sei es auf weitere Straftatbestände oder sei es auf weitere Anbieter von Telekommunikations- oder ähnlichen Diensten, sei es in Form von verlängerten Speicherfristen - eine klare Absage zu erteilen.
- sich dafür einzusetzen, dass die im Gesetz zur Einführung der Vorratsdatenspeicherung vorgesehenen Maßnahmen zur Evaluierung der Regelungen sorgsam und kritisch durchgeführt werden und dabei die Beantwortung der Frage der Wirksamkeit der Vorratsdatenspeicherung für eine effektivere Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung einen eigenen Schwerpunkt bildet.
Begründung:
Im Dezember 2015 trat nach langer und intensiver Debatte das Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten in Kraft.[1] Ziel des Gesetzes ist, die Arbeit der Strafermittlungsbehörden effektiver zu gestalten, in dem es die Rechtsgrundlagen dafür schafft, dass Verkehrsdaten und Standortdaten überwiegend aus Telekommunikationsvorgängen nicht erst dann gespeichert und zum Zweck der Strafermittlung abgerufen werden dürfen, wenn ein Anfangsverdacht und eine entsprechende richterliche Anordnung vorliegen. Vielmehr eröffnet dieses Gesetz die Möglichkeit, zu Gunsten einer effektiven Strafverfolgung Verkehrsdaten im Sinne von § 96 Abs. 1 Telekommunikationsgesetz und Standortdaten im Sinne von § 98 Abs. 1 Telekommunikationsgesetz gem. § 113 b Telekommunikationsgesetz von den dort benannten Verpflichteten für die dort vorgegebenen Zeiträume zu speichern. Im Fall von Ermittlungen ist es den Strafverfolgungsbehörden gem. §§ 100g, 101a, 101b StPO i. V. m. § 113 c Telekommunikationsgesetz gestattet, diese zuvor anlasslos von jeder Person gespeicherten Daten zum Zweck der Strafermittlungen abzurufen. Die Speicherpflicht trifft die Telekommunikationsanbieter (§ 113a TelKG) spätestens ab dem 1. Juli 2017 (§ 150 Abs. 13 TelKG). Bis zum Ablauf dieser Umsetzungsfrist haben die Telekommunikationsanbieter die Möglichkeit, technische Voraussetzungen zu schaffen, die eine Datenspeicherung erlauben, die den qualitativen Anforderungen gem. §§ 113 d, 113 e, 113 f TelKG gerecht wird.
Die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen hat sich trotz der erheblichen Verbesserungen des jetzt geltenden Gesetzes im Vergleich zu gescheiterten Vorgängerregelungen gegen dieses Gesetz ausgesprochen. Der Eingriff in die Rechte aller Bürgerinnen und Bürger ist zu intensiv im Verhältnis zu den mit ihm verfolgten legitimen Zwecken einer effektiveren Gefahrenabwehr und Strafverfolgung. Zudem ist schon die Speicherung der Daten geeignet eine grundlegende Veränderung unserer freiheitlichen Gesellschaft, wie das Grundgesetz sie sichern soll, herbeizuführen: Es besteht die Gefahr, dass die Regelungen zu einem Klima beitragen, in dem niemand mehr frei zu kommunizieren wagt, weil er befürchten muss, dass diese Kommunikation später für den Staat nachvollziehbar oder rekonstruierbar ist. Zudem steht nach wie vor der Nachweis aus, dass die Speicherung der Daten tatsächlich erhebliche Vorteile in der Prävention bringt. Es ist höchst fraglich, ob die längere Speicherung der Daten geeignet ist, für mehr Sicherheit aller Bürgerinnen und Bürger zu sorgen oder ob ein höheres Maß an Sicherheit so lediglich suggeriert werden soll.
Kritiker haben stets davor gewarnt, dass trotz der durchaus vielfältigen Vorkehrungen, die das jetzt geltende Gesetz vorsieht, um einer ausufernde Datenspeicherung durch die Telekommunikationsanbieter und spätere Datenerhebung durch die Behörden vorzubeugen, das einmal in Kraft getretene Gesetz die Begehrlichkeit wecken werde, die Möglichkeiten, Daten zu speichern und zu erheben auszuweiten. Das betrifft die Menge der denkbaren Datenzugriffberechtigten, die Ausweitung der Datenerhebung für weitere Straftatbestände, die Ausweitung der Speicherpflicht auf weitere Dienstanbieter oder die Verlängerung der geltenden Speicherfristen. Mit jeder rechtlichen Verschärfung würden sich die Möglichkeiten aller Bürgerinnen und Bürger, frei und ungezwungen zu kommunizieren zwangsläufig schmälern. Das angebliche Mehr an Sicherheit vor terroristischer Bedrohung, die als Hauptargument für etwaige Gesetzesverschärfungen ins Feld geführt wird, wird durch nachweisliche Preisgabe von Sicherheit alltäglicher Kommunikationsvorgänge der Bürgerinnen und Bürger erkauft.
Schneller als erwartet hat sich nach Inkrafttreten des Gesetzes die oben skizzierte Gefahr des Dammbruchs realisiert. In Bayern beispielsweise beschloss die CSU-geführte Landesregierung, dem eigenen Landesamt für Verfassungsschutz die Befugnis einzuräumen, auf die gespeicherten Daten zuzugreifen. Das steht im klaren Widerspruch zu dem politischen Versprechen des Bundesjustizministeriums, dass eine Datenerhebung nur zum Zweck der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung möglich sein soll. Die Gefahrenprävention, für die die Geheim- und Nachrichtendienste zuständig sind, sollte nicht mit in den Kreis der Zugriffsberechtigung einbezogen werden.
Noch weiter reichen die Forderungen in der sog. „Berliner-Erklärung“ der Innenminister der CDU vom 19. August 2016. In dieser Erklärung fordern sie neben anderen drastischen verfassungsrechtlich kaum zu rechtfertigenden grundrechtsintensiven Maßnahmen, die angeblich die Sicherheit stärken sollen, dass auch die Vorratsdatenspeicherung erheblich ausgeweitet werden soll. So soll die Nutzung der Vorratsdatenspeicherung auch bei Wohnungseinbruchsdiebstählen ermöglicht werden. BKA und die Verfassungsschutzämter von Bund und Ländern sollen die Vorratsdatenspeicherung nutzen können. Zudem sollen auch die Anbieter von E-Mail-Diensten und die Betreiber Sozialer Medien verpflichtet werden, Verkehrsdaten zu speichern und die Fristen für die Speicherung sollen von zehn Wochen auf sechs Monate deutlich erhöht werden. Die Umsetzung dieser Forderungen wäre ein Schritt hin zu einem umfänglichen Überwachungsstaat.
Teile der Forderungen der CDU-Minister stehen in einem offensichtlichen Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs. Teilweise kündigen sie politische Kompromisse auf, die die jetzt geltende Regelung überhaupt erst ermöglicht haben. Schließlich lassen die Forderungen insgesamt Zweifel aufkommen, inwiefern die CDU-Minister noch willens sind, den verfassungsrechtlichen Grundsatz zu achten, dass alles staatliche Handeln an Recht und Gesetz gebunden ist und damit vor allem seine Grenzen in den für alle Bürgerinnen und Bürgern geltenden Grundrechten findet.
Neben diesen Überlegungen zur Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung, die mit großer Wahrscheinlichkeit Einzug in den politischen Diskurs halten werden, gilt es, die im jetzt geltenden Gesetz geregelte Evaluation (Art. 7) der Neuregelungen sorgsam und kritisch durchzuführen. Solange nicht belastbare Ergebnisse der Evaluation vorliegen, aus denen auch hervorgehen muss, ob die Vorratsdatenspeicherung die Arbeit der Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden tatsächlich in erheblichem Umfang effektiver gestalten, muss allen politischen Vorhaben, die auf eine Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung gerichtet sind, eine klare Absage erteilt werden.
[1] Bundesgesetzblatt Jahrgang 2015 Teil I Nr. 51, ausgegeben zu Bonn am 17. Dezember 2015.
BuKo_2016_Beschluss_B_7.pdf
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