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Arbeitsrecht
Festhalten am Achtstundentag
Koalitionsvertrag zeigt Weg zu einer 4-Tage-Woche auf
Arbeitsrechtlerinnen und Arbeitsrechtler in der SPD fordern grundsätzlich ein Festhalten am Achtstundentag
Beschluss des ASJ-Bundesvorstands
auf Grundlage eines Positionspapiers des AK Arbeitsrecht der ASJ:
Koalitionsvertrag zeigt Weg zu einer 4-Tage-Woche auf
Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD heißt es ab Rn. 557:
„Die Arbeitswelt ist im Wandel. Beschäftigte und Unternehmen wünschen sich mehr Flexibilität. Deshalb wollen wir im Einklang mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie die Möglichkeit einer wöchentlichen anstatt einer täglichen Höchstarbeitszeit schaffen – auch und gerade im Sinne einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Zur konkreten Ausgestaltung werden wir einen Dialog mit den Sozialpartnern durchführen. Wir werden die Pflicht zur elektronischen Erfassung von Arbeitszeiten unbürokratisch regeln und dabei für kleine und mittlere Unternehmen angemessene Übergangsregeln vorsehen. Die Vertrauensarbeitszeit bleibt ohne Zeiterfassung im Einklang mit der EU-Arbeitszeitrichtlinie möglich (…). Dabei werden wir die hohen Standards im Arbeitsschutz wahren und die geltenden Ruhezeitregelungen beibehalten. Kein Beschäftigter darf gegen seinen Willen zu höherer Arbeitszeit gezwungen werden. Deshalb werden wir Missbrauch ausschließen.“
Der Text in seiner Gesamtheit enthält viele Annahmen, die sowohl rechtlich als auch im Tatsächlichen zu hinterfragen sind. Auf diese kann es unserer Ansicht nicht gestützt werden, eine so bedeutende Errungenschaft wie den Achtstundentag ohne Weiteres aufzugeben. Der Bundesvorstand der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen (ASJ) unterstreicht in Zusammenarbeit mit dem ASJ-Arbeitskreis Arbeitsrecht zunächst:
Die Zeile „im Einklang mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie“ suggeriert, der Achtstundentag sei unionsrechtswidrig. Dies ist schlichtweg falsch. Die europäische Arbeitszeitrichtlinie lässt sowohl den Achtstundentag als auch den Wochenbezug zu. Eine Notwendigkeit zur Anpassung des deutschen Arbeitszeitrechts existiert unionsrechtlich nicht.
Die Umstellung auf den Wochenbezug erfordert eine umfassende Überarbeitung des gesamten Arbeitszeitrechts, da dieses grundlegend auf dem Achtstundentag basiert und ausgerichtet ist. Eine isolierte Änderung an einer (so gravierenden) Stelle ist nicht ausreichend und würde zu Inkonsistenzen führen, die überwiegend zu Lasten der Beschäftigten gingen. Die Dimension der Veränderung wird im Koalitionsvertrag stark unterbewertet.
Die „Entdeckung des Unionsrechts“ ist seltsamerweise beschränkt: Wenn sich die Koalitionsparteien schon auf das Unionsrecht berufen, sollten sie sich zuerst auf die bereits bestehenden und vielfach in der Literatur benannten unionsrechtswidrigen Teile des Arbeitszeitrechts (z.B. überlange Ausgleichszeiträume) konzentrieren und diese korrigieren. Hierzu schweigt der Koalitionsvertrag jedoch. Darüber hinaus muss das deutsche Arbeitszeitrecht im Einklang mit dem Recht des UN-Sozialpakts, der Internationalen Arbeitsorganisation und der europäischen Sozialcharta stehen. Die völkerrechts- und europarechtsnotwendigen Korrekturen im Arbeitszeitrecht sind erst kürzlich im aktuellen Jahrbuch des Arbeitsrechts zusammengefasst worden. Die dort wiedergegebene aktuelle Kritik der europäischen Kommission (!) in Bezug auf die mangelnde Verträglichkeit des ArbZG mit der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG ist gewichtig und muss berücksichtigt werden.
Jede Änderung des Arbeitszeitrechts muss die erforderliche Dokumentation der Arbeitszeit im Sinne der Rechtsprechung des EuGH und des BAG mitdenken und im Gleichschritt regeln. Die Idee aus dem Koalitionsvertrag, die Vertrauensarbeitszeit aus der Dokumentationspflicht herauszunehmen, dürfte unionsrechtswidrig sein und der Rechtsprechung widersprechen.
Flexibilität ist bereits auskömmlich gegeben, wie allein der Krankenpflegesektor oder der Einzelhandel zeigen: Das ArbZG bietet große Flexibilitätsmöglichkeiten; § 7 ArbZG steht hierfür. Die Aufgabe des Achtstundentages zugunsten mehr Flexibilität ist also gar nicht erforderlich. Ein Unterschied zum Koalitionsvertrag besteht allerdings: Nach aktueller Rechtslage ist diese nur mit kollektiven Regelungen möglich. Das würde sich ändern.
Arbeitszeitrecht ist verwirklichter Gesundheitsschutz.
Die Abschaffung der täglichen Höchstarbeitszeit schwächt den grundlegenden Schutz der Arbeitnehmer vor Überlastung und Ausbeutung, der durch den Achtstundentag historisch erkämpft wurde. Die Pläne ignorieren zudem wissenschaftliche Erkenntnisse (vgl. Ausarbeitungen der BAUA), die die negativen Auswirkungen punktuell verlängerter Arbeitszeiten auf die Gesundheit (z.B. erhöhtes Unfallrisiko, Burn-out, Herz-Kreislauf-Erkrankungen) belegen. Die angedachte Reform würde eine gesunde Work-Life-Balance gefährden und die notwendigen Regenerationsphasen der Arbeitnehmer erschweren
Erwägungsgrund 4 der EU-Arbeitszeitrichtlinie sagt, dass sich der Gesundheitsschutz keinen rein wirtschaftlichen Erwägungen unterordnen muss. Erste Berechnungen einer Umstellung auf die Wochenarbeitszeit weisen dagegen in die Richtung, dass hierdurch Wochenarbeitsstunden von über 70 Stunden verdichtet und kulminiert auf einzelne Tage möglich sind. Dies dürfte nur schwer mit dem Gesundheitsschutzgedanken der europäischen Arbeitszeitrichtlinie vereinbar sein. Wie soll in einem solchen System eine wirksame Gefährdungsbeurteilung (§ 5 ArbSchG) stattfinden? Die Flexibilisierungsrendite erhielten überwiegend die Arbeitgeber!
Nach der Rechtsprechung des BVerfG folgt aus dem Grundgesetz eine staatliche Schutzpflicht für den Gesundheitsschutz. Insofern ist der Vorschlag im Hinblick darauf auch verfassungsrechtlich problematisch.Durch den Wochenbezug würden von Arbeitnehmern geleistete Überstunden weniger sichtbar werden und Überstundenzuschläge seltener anfallen. Dies wirkt sich auch nachteilig auf Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats aus. Kombiniert mit den geplanten Lockerungen bei der Arbeitszeiterfassung werden die notwendige Transparenz und Kontrolle der Arbeitszeiten untergraben und nochmals: unbezahlte Überstunden anwachsen lassen – zu der bereits heute bestehenden hohen Zahl. Die geplante Reform setzt hier Fehlanreize.
Die Reform droht, die bereits bestehenden Probleme mit überlangen Arbeitszeiten zu verschärfen und die Einhaltung der gesetzlichen Arbeitszeitgrenzen weiter zu untergraben. Ruhezeiten und Ruhepausen sind nicht auf einen Wochenbezug ausgerichtet. Senkungen der Grenzwerte des öffentlich-rechtlichen Arbeitszeitrecht enthalten die Planungen übrigens nicht. Solche wären Beleg, dass es auch um die Flexibilität der Beschäftigten gehen soll.
Die bereits heute feststellbaren Überschreitungen der gesetzlichen Arbeitszeitgrenzen werfen Fragen zur Effektivität der Überwachung durch Gewerbeaufsichtsämter und Behörden für Arbeitsschutz auf. Kritiker befürchten, dass eine weitere Flexibilisierung die Kontrolle noch schwieriger machen könnte. Dem schließen wir uns an.
Entgrenzte Arbeitszeiten beeinträchtigen die Möglichkeit der Arbeitnehmer, sich politisch, familiär, sozial und gewerkschaftlich zu engagieren, was die Basis einer demokratischen Gesellschaft untergräbt. Rückwirkungen des Systemwechsels auf Teilzeitbegehren oder die Rückkehr zur Vollzeit (§§ 8-9a TzBfG) werden vom Reformansatz nicht gesehen. Als Reflex dürfte er sich aber gerade für Arbeitnehmerinnen nachteilig auswirken.
Bereits im ILO-Übereinkommen Nr. 1 (13.6.1921) findet sich in Artikel 2 der Achtstundentag. Eine solche Errungenschaft gibt man nicht aus vermeintlichen Zeitgeistgründen auf.
Deshalb ist es als Grundsatz des deutschen Arbeitszeitrechts angezeigt, § 3 ArbZG in seiner derzeitigen Fassung zu erhalten, ergänzt um die generelle (unionale) Pflicht zur manipulationssicheren elektronischen Arbeitszeiterfassung und bereinigt von bestehenden richtlinienwidrigen Teilen.
Der Koalitionsvertrag öffnet aber noch eine andere Tür, wenn er auf den gemeinsamen Wunsch nach Flexibilität und einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf abstellt. So ist richtlinienkonform und unter Anwendung des Wochenbezugs eine 4-Tage-Woche „modellierbar“. Der Gesundheitsschutzschutzaspekt wird durch die längere Erholungszeit bereits in der Arbeitswoche selbst für den jeweiligen Beschäftigten zeitnah verwirklicht. Sicherlich gibt es auch hier Bedarf für eine Anpassung sowie für Missbrauchsschranken, die Flexibilisierungsrendite käme aber von der Anlage der 4-Tage-Woche beiden Seiten des Arbeitsverhältnisses zu. Details sollten den Tarifvertragsparteien übertragen werden. Dieser Weg – so der ASJ-Bundesvorstand – kann im System des deutschen und unionsrechtlichen Arbeitszeitrecht und auf Grundlage des Koalitionsvertrags gut gegangen werden (ggf. als Experimentierklausel im ArbZG verankert).
Festhalten am Achtstundentag
Beschluss_Arbeitszeitgesetz_2025.pdf
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Lücken in der Arbeitnehmer-Mitbestimmung schließen
Die ASJ fordert,
1. den Anwendungsbereich der Mitbestimmungsgesetze um gewerbsmäßige Stiftungen bürgerlichen Rechts zu erweitern; eine Umgehung der Mitbestimmung durch ausländische Rechtsformen mit Verwaltungssitz im Inland ist zu unterbinden; das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird aufgefordert, zu prüfen, welche Wege der Umsetzung hierfür in Frage kommen;
2. die sog. „Drittelbeteiligungslücke“ zu schließen, also im Drittelbeteiligungsgesetz analog des Mitbestimmungsgesetzes die GmbH & Co. KG aufzunehmen sowie die Mitarbeiter von Tochtergesellschaften der Konzernmutter zuzurechnen;
3. der Europäisierung der Arbeitswelt gebührend Rechnung zu tragen und Konzernmitarbeiter im EU-Ausland für die Berechnung der Schwellenwerte mitzuzählen;
4. effektive Sanktionen für den Fall vorzusehen, dass Unternehmen ihren Verpflichtungen aus den Mitbestimmungsgesetzen zuwiderhandeln; dazu gehören neben der Verhängung von Bußgeldern auch spürbare gesellschaftsrechtliche Folgen.
Luecken_in_der_Arbeitnehmer-Mitbestimmung_schliessen__ASJ_BuKonf_2016.pdf
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