Inhaltsbereich
Beschlüsse: Europarecht
Der Brexit als Chance für ein neues Europa der Identifikation
Beschluss der AsJ - Bundeskonferenz vom 12. - 13. November: R 1
Am 23. Juni 2016 haben die Bürgerinnen und Bürger Großbritanniens in einem nationalen Volksentscheid für den Austritt ihres Landes aus der Europäischen Union gestimmt.
Inzwischen arbeiten nicht nur in Großbritannien (GB), sondern in allen nationalen Administrationen, in der Kommission der EU, aber auch in den Regierungen und Forschungseinrichtungen weltweit viele kluge Menschen an Szenarien für ein Europa nach dem Brexit und seine Auswirkungen auf die Anrainer- und die Partnerstaaten der EU.
1. Wie konnte es dazu kommen?
Das Ergebnis steht in einer Reihe europaweiter Kampagnen von Konservativen, Nationalisten und Rechtsradikalen gegen das Projekt der friedlichen und solidarischen Einigung der Menschen Europas. Offensichtlich hat die traumatische Erfahrung der beiden großen Weltkriege des 20. Jahrhunderts nicht ausgereicht, dieses Anliegen im kollektiven Bewusstsein der Völker so zu verankern, dass wenigstens die damals unmittelbar betroffenen Gesellschaften trotz des fortwährenden Generationenwechsels und der abnehmenden Zahl von Zeitzeugen heute davor gefeit wären, in Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus zu verfallen.
Auch ein tiefes Misstrauen der Linken gegen die EU als einem Instrument übernationaler, globaler neo-liberaler Politik hat eine Rolle gespielt. Schon das Votum linker Parteien und von ihnen getragener Volksentscheide (Frankreich) gegen eine Europäische Verfassung vor dem Vertrag von Lissabon wies in diese Richtung. In GB war die starke Zurückhaltung großer Teile der Labour-Party und ihres Vorsitzenden Jeremy Corbyn spürbar. Diese Denkweise gibt es seit 1975, als die „anti marketeers“ in der Labour Party unter Harold Wilson ein Referendum gegen den Verbleib von GB in der EWG anzettelten, nachdem es erst 1972 unter dem konservativen Premier Edward Heath beigetreten war. Auch in den Gewerkschaften gibt es Vorbehalte gegen ein Europa, das eher dem „Großkapital“ zu dienen scheint als den Interessen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Der EU-kritische Teil der Linken in GB hat es bis heute nicht verstanden, die EU als Chance zu begreifen, in einem sich unter wirtschaftlichem Druck immer weiter globalisierenden Weltmarkt dem Diktat der Regeln durch Unternehmen das Primat der Politik durch freiheitliche, demokratische und soziale Institutionen entgegen zu setzen. Dazu war und ist ihr auch die Denkweise einer sozialen Marktwirtschaft mit ihren Ausgleichsmechanismen, wie es sie in Mittel- und Nordeuropa gibt, beides: nicht radikal genug oder zu sozialistisch.
Die EU muss als ein Instrument begriffen werden. Sie agiert selbst neo-liberal und unsozial, wenn sie in Gestalt der „Troika“ den verschuldeten Euro-Staaten die Daumenschrauben anzieht und ihnen eine Austeritätspolitik aufzwingt, die zu Massenelend und zu breiter Jugendarbeitslosigkeit führt. Aber sie tut das auch, weil GB es verlangt, ohne Teil der Euro-Zone zu sein. Sie tut das, weil eine konservativ-neoliberale Mehrheit im europäischen Rat besteht. Sie tut es, weil ihre demokratisch gewählten Repräsentanten so handeln. Das macht die EU als Institution nicht schlecht, es zeigt, dass diese Institution mehrheitlich durch das falsche Personal vertreten wird. Niemand würde einen Staat abschaffen oder auch nur infrage stellen wollen, weil die falsche Partei regiert. Das behaupteten aber die Brexit-Befürworter: Sie wollten am liebsten die angeblich undemokratische EU abschaffen, weil sie das aber im Wege der demokratischen Wahl oder Abwahl nicht konnten, wollten sie aus ihr austreten. (Einer der bekanntesten Konstrukteure solcher Gedankengebilde ist jetzt britischer Außenminister.)
Die Kampagne der Brexit-Befürworter war in einem Maße mit Ressentiments und Unwahrheiten behaftet, dass von einigen Beobachtern ernsthaft die Frage gestellt wurde, ob der Volksentscheid für eine so grundsätzliche Entscheidung das richtige Instrument sei. In der Tat steht diese Abstimmung in einer Reihe mit weiteren Referenden der letzten Jahre in anderen Staaten, die medial und finanziell manipuliert wurden und auf den ersten Blick den Schluss provozieren, die Art der Entscheidung und der Weg zu ihr sei für derartig grundsätzliche Fragen nicht geeignet. Doch das hieße, ein urdemokratisches Instrument deshalb zu diskreditieren, weil es in unlauterer Weise missbraucht wurde. Das Referendum und der vorausgehende Abstimmungskampf dienen dem Zweck, Entscheidungen von besonderer Bedeutung allen Wählerinnen und Wählern so nahe zu bringen, dass das Ergebnis dann breit von der Bevölkerung getragen wird. Wenn sich deutliche Manipulationen zeigen, müssen diese mindestens benannt und unterbunden werden. Die Finanzierung von Medienkampagnen muss offengelegt werden, um Einflussnahmen transparent zu machen.
2. Was ist der Brexit?
Diese Frage im Wortsinn kann in diesen Tagen kaum jemand beantworten. Die britische Premierministerin May liefert beinahe wöchentlich neue Tautologien wie „Brexit heißt Brexit“ oder, in der Steigerung, „Brexit heißt Brexit, weil es genau das heißt“. Aber auch im übertragenen Sinne weiß niemand so genau, was es bedeutet, wenn GB die EU verlässt. Beim Referendum 1975 fasste der damalige Labour-Abgeordnete David Ennals das Problem sehr plastisch zusammen: „You cannot unscramble an egg!“
Was in diesem Sinne Brexit für die Briten und für Europa bedeutet, muss in den nächsten Monaten und Jahren ausgehandelt werden. Der erste Schritt liegt im Austrittsprozess selbst. Sobald das Vereinigte Königreich dem Europäischen Rat sein Austrittsvorhaben gemäß Art. 50 des Vertrages über die Europäische Union anzeigt, läuft eine zweijährige Frist, in der ein bilateraler Austrittsvertrag zwischen der EU und dem GB entstehen wird.
Der Vertrag darf nicht so attraktiv gestaltet werden, dass er zur Aufmunterung für alle weiteren Gegner Europas würde, die Union weiter zu spalten. Sonst wäre er der Anfang vom Ende für das Jahrhundertprojekt der Europäischen Einigung. Um ihrer eigenen Existenz und Zukunft willen muss die EU gegenüber dem Vereinigten Königreich ebenso unverrückbar an diesen Voraussetzungen festhalten, wie sie es gegenüber anderen assoziierten Staaten auch getan hat.
Dabei ist Rücksicht auf die Gefahren einer politischen und ökonomischen Entfremdung zwischen GB und EU zu nehmen. Dies darf aber nicht dazu führen, dass die EU weiterhin gleiche Zugeständnisse macht, wie sie vor dem Referendum mit GB für den Fall ausgehandelt worden waren, dass die Bevölkerung für den Verbleib in der EU stimmen würde. Schon daraus lässt sich ein Rahmen herleiten, was der Vertrag über den Brexit u.a. beachten müsste:
Es sollte keinen Status für GB geben, der den Rechten der Mitgliedschaft nahe kommt, ohne auch die Pflichten erfüllen zu müssen.
Es sollte keine Mitsprache von GB geben, weder im Rat, noch im Parlament, noch in der Kommission.
Namentlich darf es keinen Zugang zum gemeinsamen Markt geben, ohne dass zugleich Arbeitnehmer-Freizügigkeit gilt.
Es darf keinen Zugang zum gemeinsamen Markt geben, ohne Beitragspflicht zum EU-Budget.
Es sollte keine verbindlichen Konsultationen mit GB in Bezug auf die Währungs-, Wirtschafts- und Finanzpolitik der Euro-Zone geben, bei denen GB eine Mitentscheidungsbefugnis eingeräumt würde.
Wir erwarten von GB, dass es sich auch in Zukunft der EMRK und den Urteilen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte unterwirft.
Sollte also GB den Status eines EFTA-Staates wie Norwegen oder Island anstreben (den es bis 1973 hatte), würden dafür die Bedingungen der Freizügigkeit und der Beitragspflicht zum Budget der EU gelten.
Die Entscheidung für den Brexit hat GB von Europa, das Pfund vom Euro entfernt. In einer globalisierten Welt ist Währungspolitik nie ohne Rücksicht und Abgleich mit Entscheidungsträgern möglich, die für andere Währungen verantwortlich sind. Das Pfund wird in seiner Bedeutung seit langem von Dollar, Yen und Yuan überrundet und ist auch so nachgeordnet zu berücksichtigen.
Dass GB in Zukunft nicht mehr der Rechtsprechung des EuGH - unterworfen sein wird, sobald es die EU verlassen haben wird, ist nachvollziehbar. Hinsichtlich der Grundrechtecharta galt für GB ohnehin ein „opting out“. Aber eine gute Nachbarschaft innerhalb des gemeinsamen Kontinents ist nur vorstellbar, wenn GB auch in Zukunft Mitglied des Europarates bleibt und sich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte unterwirft. Nun wäre die Frage berechtigt, warum diese Erwägung überhaupt etwas mit dem Brexit zu tun hat, denn der bezieht sich ja nicht auf den Europarat. Doch hatten die Briten selbst diese Frage zum Gegenstand der Verhandlungen darüber gemacht, was sich ändern müsse, wenn GB in der EU verbleiben solle. Es ist vielen Hardlinern auf der Insel ein Dorn im Auge, dass der EGMR auch für GB immer wieder die Verletzung von Menschenrechten beanstandet. Sollte die Britische Regierung ernsthaft in Erwägung ziehen, den Brexit zu nutzen, um sich auch von der Wertegemeinschaft und der Europäischen Menschenrechtskonvention zu verabschieden und damit hinter den Menschenrechtsstatus von Weißrußland zurück zu fallen, käme das einer Flutung des Eurotunnels gleich.
3. Eine neue Identität für Europa – ein Gemeinwesen, mit dem sich alle Europäerinnen und Europäer identifizieren können
Die Erschütterung des Brexit ist groß. Man wird nach Abschluss des Austrittsprozesses nicht zur Tagesordnung übergehen können. Schon vor Aufnahme der Austrittsverhandlungen muss klar sein, welche Richtung die EU in Zukunft einschlägt. Nur so kann man die Weichen richtig stellen.
Der Brexit ist zunächst ein Rückschlag für die Einigung des Kontinents. Der Staatenbund EU verliert nicht nur ein großes, politisch mächtiges, ökonomisch starkes und kulturell bedeutendes Mitglied. Auch der Leitgedanke der europäischen Einigung, einen immer engeren Zusammenschluss der europäischen Völker zu schaffen, wird erstmals real in sein Gegenteil verkehrt. Zum ersten Mal tritt ein Staat aus der EU aus und beweist damit, dass die europäische Integration umkehrbar und die Union der Staaten und Völker Europas auflösbar ist.
Viele Konservative und Nationalisten wollen sich zurück auf den Weg zum Nationalstaat des 19. und 20. Jahrhunderts machen. Sie wollen die Staatengemeinschaft zur Freihandelszone zurückentwickeln. Dabei verkennen sie die Notwendigkeit der politischen Einigung und der politischen Handlungsfähigkeit Europas. Politisches Gewicht, das geeignet ist, in einer Welt des globalen Wettbewerbs den Sozialstaat zu erhalten oder sogar erst zu schaffen, erlangt Europa nur durch politische Einigung.
Einen Weg zurück gibt es nicht, denn die Zeit ist weiter gegangen, die Welt hat sich entwickelt. Eine Weichenstellung zu weniger Europa und mehr Nationalstaat in der Zukunft, die über den Erhalt der regionalen kulturellen Identität und die innereuropäische Subsidiarität hinaus ginge, würde die politischen Kräfte aufteilen und teilweise gegeneinander richten. Nach außen wäre die EU weiter geschwächt, weil sie die Wertegemeinschaft und die Wirtschaftskraft von 450 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern nicht bündeln könnte.
Kulturelle Identität und Subsidiarität sind bereits konstitutive Elemente der Europäischen Verträge. Europa garantiert damit etwas institutionell, was der Nationalstaat immer nur in harter und gewaltsamer Abgrenzung zu anderen Nationen verteidigen konnte: Die Wahrung nationaler und regionaler Identität. Das Europa dieses Jahrhunderts muss neben seinen Eigenschaften als Raum der friedlichen wirtschaftlichen Entwicklung eine eigene, eine Europäische Identität gewinnen. Europa und alle Europäerinnen und Europäer müssen ihren Platz in der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts einnehmen und gestalten.
Der Brexit führt zum Verlust eines Partners, der bisher nicht ohne Erfolg die Integration Europas gebremst hat. Britische Regierungen hatten stets eine dezidiert marktliberale Vorstellung von der europäischen Einigung und ein instrumentelles Verhältnis zum europäischen Staatenbund.
Die europäische Integration ist in der Vergangenheit gerade in Momenten der Krise ihrer Institutionen vorangeschritten. Die Vertiefungsbereitschaft ist bei vielen Staaten zurück; andere verlieren mit GB einen starken Verbündeten und werden sich neu orientieren müssen.
Wo soll es hingehen?
a) Institutionelle Reformen
Die Verbindung der Bürgerinnen und Bürger zur EU, ihre Vertretung im Parlament und die Kontrollfunktionen des Parlaments gegenüber der Kommission sollten enger und direkter gestaltet werden, damit die Menschen in Europa erkennen können, dass diese Institutionen für sie handeln und dass es Veränderungen geben kann, je nachdem, wen sie wählen.
So sollte das Parlament endlich ein eigenes Initiativrecht bekommen, damit die Volksvertreterinnen und Vertreter selbst europäische Gesetze, Richtlinien und Verordnungen einbringen und zur Diskussion stellen können.
Außerdem sollte es für die Europawahl Spitzenkandidat*Innen geben, wie das bei der Wahl 2014 bereits der Fall war: Wählerinnen und Wähler sollten sich ein Bild von Zielen und Persönlichkeit machen können, um zur europäischen Politik eine Beziehung aufbauen zu können. Solche Identifikationspersonen sollten damit auch im Erfolgsfall die gesetzten Kommissionpräsidenten sein. Es ist zu überlegen, ob dieses Verfahren in den Verträgen niedergelegt wird, damit es nicht von der Strategie und Organisation besonderer Persönlichkeiten abhängt.
Das Parlament sollte unmittelbare Kontrollfunktionen gegenüber der Kommission erhalten, kombiniert mit stärkeren Berichtspflichten, die die Tätigkeit der Kommission transparenter machen.
- TTIP und CETA haben bewiesen, dass es wenig sinnvoll ist, internationale Abkommen, insbesondere umfassende Handelsabkommen in einem einheitlichen Vertragswerk auszuhandeln und sie dann nur als Block mit „ja“ oder „nein“ abstimmen zu lassen. Zukünftig müssten die Mandate für solche Abkommen bereits durch das Parlament erteilt und in Teilbereiche aufgegliedert werden, die eine demokratische Auseinandersetzung dazu auch im Detail ermöglichen. Die Abkommen sollten in solchen Teilbereichen verhandelt und zum frühesten vertretbaren Zeitpunkt auch der Öffentlichkeit zur Diskussion gestellt werden. Insgesamt sollte das Verfahren so neu gestaltet werden, dass die demokratische Teilhabe der Öffentlichkeit und der Parlamente aller Mitgliedstaaten gesichert wird.
b) Eine Sozialunion
Wenn die alte Idee von der Europäischen Friedensunion, hergestellt durch den Abbau wirtschaftlichen Ungleichgewichts, durch Austausch unter den Bürgerinnen und Bürgern und durch Verflechtung der Mitgliedsstaaten, nicht mehr zu tragen scheint, weil sie zu selbstverständlich geworden ist, braucht die Europäische Union eine neue, eine soziale Vision.
Sozialer Ausgleich und die Angleichung der Lebensverhältnisse werden nicht ausreichen. Wir sollten die Idee, dass niemand zurückbleibt und keiner hungern und frieren muss, auf Europa übertragen. Dazu sind wir schon jetzt verpflichtet, wenn wir die Maßstäbe der Menschenwürde unseres deutschen Verfassungsrechts an die Europäische Grundrechtecharta anlegen. Wenn wir die breite Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger und in ihr auch die sozial benachteiligten für Europa begeistern wollen, muss Teil dieser Vision die Europäische Sozialunion in einer Europäischen Sozialen Marktwirtschaft sein. In dieser Sozialunion stellt sich die EU der Aufgabe, für bestimmte soziale Mindeststandards in Europa zu sorgen. Diese Standards können innerhalb eines bestimmten Korridors anhand von festzulegenden Kriterien durchaus regional voneinander abweichen.
Das bedeutet für den Staat bzw. die Mitgliedsstaaten überall, wo nicht vorhanden, die Einführung einer sozialen Grundsicherung, und es bedeutet für Mitgliedsstaaten und Unternehmen überall, wo nicht vorhanden, die Einführung von tariflichem oder gesetzlichem Mindestlohn. Das wird Geld kosten, für das die EU einstehen müsste, wo die Staaten selbst nicht dazu in der Lage sind. Aber es ist für alle Bürgerinnen und Bürger die Erzählung von dem Europa, das seinen eigenen verfassungsrechtlichen Ansprüchen an die Menschenwürde endlich gerecht wird und niemanden zurücklässt.
Die Lasten einer solchen Sozialen Union refinanzieren sich in einer sozialen Marktwirtschaft, die in einem Wirtschaftraum von 450 Millionen Menschen eine stabile Konjunktur bewirkt und tief greifende soziale Konflikte vermeidet, weil alle an den wirtschaftlichen Erträgen beteiligt werden und weil innerbetriebliche Mitbestimmung für den Interessenausgleich zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern sorgt.
Das Modell muss durch eine koordinierte europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik ergänzt werden; soziale Marktwirtschaft kann nur mit Instrumenten und Korrektiven funktionieren, die einen sozial verträglichen Wettbewerb sicherstellen. Damit wird zugleich den Notwendigkeiten, die der Euro geschaffen hat, Rechnung getragen.
Die derzeitige europäische finanz- und wirtschaftspolitische Koordinierung ist zu sehr auf Sparen und Austerität ausgerichtet und sozial unausgewogen. Sie trägt zu Sozialabbau und sozialer Spaltung in Europa bei. Die Vorschläge der fünf Präsidenten zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion vom 22. Juni 2015 sind im Wesentlichen eine Weiterentwicklung der derzeitigen finanz- und wirtschaftspolitischen Steuerung durch das Europäische Semester und würden so zu einer weiteren Stärkung der Spar- und Austeritätspolitik mit den unsozialen Folgen führen.
Der derzeitige Irrweg der europäischen Spar- und Austeritätspolitik muss beendet werden. Erforderlich ist eine Politik, die gleichzeitig auf Wachstum, soziale Sicherung und soziale Integration ausgerichtet ist. Europa kann nur auf einer solchen Grundlage stabil und dauerhaft weiter entwickelt und weiter integriert werden. Ein soziales Europa ist möglich und erforderlich.
c) Eine Steuerunion
Europa muss Steuervermeidung verhindern und Steuerwettbewerb unterbinden. Multinationale Unternehmen sollten verpflichtet sein, offenzulegen, wo sie welche Gewinne erzielen und wie hoch ihre jeweilige Steuerlast ist („Country-by-country Reporting“). Die gemeinsame, unionsweite Bemessungsgrundlage für die Körperschaftssteuer muss nach Jahren der Diskussion endlich kommen und mit einem Mindeststeuersatz verbunden sein. Das organisierte Steuerdumping einzelner Mitgliedsstaaten der EU muss endlich ein Ende haben. Zwischen den Steuerbehörden muss der Austausch verbessert und automatisiert werden. Steuernachlässe für einzelne Unternehmen als Instrument des Standortwettbewerbs müssen als unzulässig konsequent unterbunden werden.
d) Ein Europa der gemeinsamen Verantwortung
Die Menschen erwarten von der EU zu Recht, dass sie in der Lage ist, grenzüberschreitenden Problemen wirksam zu begegnen. Dies ist ihr gerade bei internationalen Konflikten zuletzt kaum noch gelungen. Der Bürgerkrieg in der Ukraine, der sich zum internationalen Militärkonflikt ausgeweitet hat, der Krieg in Syrien, der internationale Terrorismus, das Abkippen der Türkei in Chaos und Despotie oder der Umgang mit dem Zuzug Millionen Geflüchteter aus den umkämpften Regionen des Nahen und Mittleren Ostens: Statt einer gemeinsamen Antwort erklang Vielstimmigkeit oder Schweigen. Der EU-interne Verteilmechanismus für schutzbedürftige Flüchtlinge ist so gründlich gescheitert, dass er wie eine Karikatur auf die Schwäche der EU im Umgang mit ihrer internationalen Verantwortung wirkt. Auch das Europa der gemeinsamen Verantwortung braucht einen Neustart. Die EU muss dafür beispielsweise ihr Einwanderungsrecht auf eine gemeinsame Basis stellen und die EU und ihre Mitgliedstaaten müssen ihre Außenpolitik verbindlicher abstimmen.
Die Europäische Union ist es wert, dass wir uns diesen Aufgaben stellen!
Der Brexit als Chance für ein neues Europa der Identifikation
BuKo_2016_Beschluss_R_1.pdf
Metadaten:
Herunterladen der Datei: BuKo_2016_Beschluss_R_1.pdf (pdf), 97 KB)
Bodenreform
Beschluss der ASJ Bundeskonferenz vom 20.06.2004: Ö 2
Die ASJ begrüßt, dass die Bundesregierung bei dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ( EGMR ) in Straßburg Rechtsmittel gegen das so genannte „Neubauern-Urteil“ des EGMR vom 22.01.2004 eingelegt hat.
Novellierte Begründung:
In dem Urteil vom 22. Januar 2004 hat eine Kammer des Gerichtshofs unter Berufung auf eine Entscheidung des BGH unterstellt, dass die Beschwerdeführer als Erben Eigentum an Bodenreformland zustand. Dieses sei ihnen, abweichend von der Ansicht des BGH, in unzulässiger Weise durch das 2. Vermögensrechtsänderungsgesetz entschädigungslos entzogen worden. Das Bundesgesetz verletze daher das Eigentumsrecht der Beschwerdeführer.
Die Beschwerdeführer sind Erben von Personen, denen als sogenannten Neubauern im Rahmen der Bodenreform nach 1945 in der ehemaligen SBZ bzw. DDR aus dem staatlichen Bodenfonds Eigentum an landwirtschaftlichen Grundstücken zur Eigenbewirtschaftung übertragen worden war. Dafür hatten sie nur eine auf bis zu 20 Jahre verteilte Naturalabgabe in Höhe einer Jahresernte zu leisten. Das Land war nach der den Neubauern übergebenen Urkunde vererblich, aber unteilbar und unveräußerlich und es war in den staatlichen Bodenfonds zurückzuführen, wenn es nicht bestimmungsgemäß genutzt wurde. Das galt auch, wenn sich im Erbfall die Erben nicht auf einen Miterben oder einen Verwandten als Rechtsnachfolger für das Bodenreformland einigten, der in der Landwirtschaft tätig war und dem das Land mit Zustimmung der Kreisbodenkommission, später des Rates des Kreises übertragen wurde.
Die Beschwerdeführer beim EGMR sind Erben von noch zu DDR-Zeiten, oft viele Jahrzehnte vor der Wiedervereinigung verstorbenen Eigentümern von Bodenreformland. Sie hatten sich aber nicht entsprechend den damals in der DDR geltenden Gesetzen auf einen Rechtsnachfolger für das Bodenreformland geeinigt. und waren daher auch im Grundbuch nicht als Rechtsnachfolger der Ländereien eingetragen worden. Allerdings war das Bodenreformland auch nicht in den staatlichen Bodenfonds zurückgeführt worden, wohl weil der Erbfall den Behörden unbekannt geblieben war oder weil sie nachlässig arbeiteten. Im März 1990 sind dann die Verfügungsbeschränkungen und die Verordnungen über den Besitzwechsel an Bodenreformgrundstücken durch das sog. Modrowgesetz aufgehoben worden. Ob die Grundstücke, weil vererblich, mit dem Erbfall vorbehaltlich der Rückführung in den staatlichen Bodenfonds an die Erben übergegangen waren, oder, weil unteilbar, erst mit einer Einigung der Erben unter Zustimmung der Kreisbodenkommission bzw. des Rates des Kreises auf diesen übergingen, wurde zu unterschiedlichen Zeiten von den obersten Gerichten der BRD unterschiedlich bewertet. Alle Entscheidungen stimmten aber darin überein, dass den Alterben kein vollwertiges Eigentum zustand und das Modrowgesetz eine Regelungslücke enthält, die je nach Beurteilung der Eigentumslage als offene oder als verdeckte aber stets übereinstimmend als zu Recht im Sinne einer Nachzeichnung der Bestimmungen über den Besitzwechsel der DDR durch das 2. Vermögensrechtsänderungsgesetz geschlossen bewertet wurde Das 2. Vermögensrechtsänderungsgesetz vom 14. Juli 1992 habe eine zufällige und materiell nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung gleicher Sachverhalte in Alterbfällen von Bodenreformland vermieden. Das Land fiel zu Recht entsprechend den Gedanken der Besitzwechselverordnungen der DDR in Alterbfällen, soweit zum Stichtag kein Miterbe in der Landwirtschaft tätig oder zumindest langfristig bis zum Ende des Berufslebens tätig gewesen war, dem neuen Bundesland zu, in dem es liegt. Da darin keine Entziehung einer gesicherten Rechtsposition lag, war eine Entschädigung nicht zu leisten.
Entgegen den Unterstellungen des EGMR hatten die Alterben nämlich nie gesichertes Eigentum an dem Bodenreformland erworben und sind daher 1992 mit der Einfügung von Art. 233 §§ 11 bis 16 EGBGB durch das 2.VermRÄndG nicht in ihnen zustehenden Eigentumsrechten verletzt worden. Erst diese Vorschriften gewährten ihnen das formale Recht, sich vorläufig als Eigentümer der Grundstücke im Grundbuch eintragen zu lassen, verbunden mit der Pflicht, das Eigentum kostenlos an den Landesfiskus aufzulassen, falls sie am Stichtag nicht „zuteilungsfähig“ i.S. von Art. 22 § 12 Abs.3 EG BGB waren.
Auf der Bundeskonferenz vorgelegte Begründung:
In dem Urteil vom 22. Januar 2004 hat eine Kammer des Gerichtshofs festgestellt, dass die entschädigungslose Entziehung des Eigentums der Beschwerdeführer aufgrund des 2. Vermögensrechtsänderungsgesetzes das Eigentumsrecht der Beschwerdeführer verletze.
Die Beschwerdeführer sind Erben von sogenannten Neubauern. Letztere hatten durch die Bodenreform nach 1949 in der ehemaligen DDR Eigentum an landwirtschaftlichen Grundstücken erworben. Die Beschwerdeführer waren noch zu DDR-Zeiten Erben von Neubauern geworden. Zweckbestimmung der Bodenreform der DDR war die landwirtschaftliche Nutzung der davon betroffenen Grundstücke. Nach dem Recht der DDR mussten Grundstücke aus der Bodenreform entschädigungslos in den staatlichen Bodenfonds zurückgeführt werden, wenn die Begünstigten nicht in der Landwirtschaft tätig waren.
Die Beschwerdeführer waren nicht in der Landwirtschaft tätig. Allerdings wurde zu DDR-Zeiten - entgegen dem geltenden DDR-Recht - in manchen Fällen von den Behörden versäumt, das Eigentum an diesen Grundstücken wieder in den staatlichen Bodenfonds zurückzuführen. Dies führte dazu, dass formal die Grundstücke bei den Beschwerdeführern verblieben waren. Diese formale Position, die lediglich wegen Versäumnissen der DDR-Behörden fortbestand und der materiellen Rechtslage in der DDR widersprach, führte nach der Wiedervereinigung zu groben Ungerechtigkeiten. Denn ob Erben - obwohl sie das Grundstück nicht landwirtschaftlich nutzten - die Bodenreformgrundstücke behalten durften, hing allein davon ab, ob die DDR-Behörden das zuvor geltende DDR-Recht angewendet hatten oder dies - wie in den Fällen der Beschwerdeführer - unterließen. Hätten die DDR-Behörden das DDR-Recht ordnungsgemäß angewandt, hätten die Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Wiedervereinigung die Grundstücke bereits an den staatlichen Bodenfonds verloren gehabt. So aber sind sie - wegen eines schlichten Behördenversäumnisses während der DDR-Zeit – gegenüber jenen DDR-Bürgern besser gestellt, die ebenfalls Erben von Bodenreformland waren, bei denen die DDR-Behörden das DDR-Recht aber durchgesetzt hatten mit der Folge, dass sie es mangels landwirtschaftlicher Nutzung an den staatlichen Bodenfonds zurückgeben mussten.
Mit dem 2. Vermögensrechtsänderungsgesetz vom 14. Juli 1992 wurde diese zufällige Ungleichbehandlung und materiell nicht gerechtfertigte Besserstellung derer, die von Verwaltungsversäumnissen der DDR begünstigt wurden, korrigiert. Auf dieser Rechtsgrundlage wurde den Beschwerdeführern das Grundstück entzogen. Das Grundstück fiel in diesen Fällen den neuen Bundesländern zu, sofern nicht Private vorrangig berechtigt waren. Weil das 2. Vermögensrechtsänderungsgesetz lediglich diese zufälligen Ungleichbehandlungen korrigierte, musste die Entziehung der Grundstücke nach Auffassung der Bundesregierung auch nicht finanziell kompensiert werden.
Entgegen der Annahme des EGMR in der angegriffenen Entscheidung haben die Alterben kein Eigentum an Bodenreformland erworben.
Das „Gesetz über die Rechte der Eigentümer von Grundstücken aus der Bodenreform“ vom 06.03.1990, das sog. Modrowgesetz, enthält keine verdeckte Regelungslücke. Jedenfalls in der Mehrzahl der „Alterbfälle“ haben Erben von vor dem 15.03.1990 verstorbenen Neubauern durch das Gesetz nicht vollwertiges Eigentum an dem Erblasser zugeteilten Grundstücken aus der Bodenreform erlangt.
Obwohl Bodenreformwirtschaften als vererblich bezeichnet waren, haben Erben in Alterbfällen durch die Aufhebung der „Verordnung über die Durchführung des Besitzwechsels bei Bodenreformgrundstücken“ (BodRefDVO) vom 07.08.1975 und die „Zweite Verordnung über die Durchführung des Besitzwechsels bei Bodenreformgrundstücken“ vom 07.01.1988 in § 3 des Modrowgesetzes weder Eigentum erworben, noch ist ein ihnen mit dem Erbfall zugefallenes, öffentlich-rechtlich überlagertes, wertloses Eigentum zu „vollwertigem Eigentum“ erstarkt.
Entgegen den Feststellungen des EGMR sind diese Erben 1992 mit der Einfügung von Art. 233 §§ 11 bis 16 EGBGB durch das 2.VermRÄndG nicht in ihnen zustehenden Eigentumsrechten verletzt worden. Erst diese Vorschriften gewährten ihnen das Recht, sich vorläufig als Eigentümer der Grundstücke im Grundbuch eintragen zu lassen, verbunden mit der Pflicht, das Eigentum kostenlos an den Landesfiskus aufzulassen, falls sie am Stichtag nicht „zuteilungsfähig“ i.S. von Art. 233 § 12 Abs. 3 EGBGB waren.
Bodenreform
BuKo_2004_Beschluss_OE_2.pdf
Metadaten:
Herunterladen der Datei: BuKo_2004_Beschluss_OE_2.pdf (pdf), 54 KB)
Europol und Eurojust
Beschluss der AsJ - Bundeskonferenz vom 20. Juni 2004: S 1
Die SPD-Innen- und Rechtspolitiker werden aufgefordert, bei der Weiterentwicklung von Europol und Eurojust auf folgendes hinzuwirken:
I. Europol
1. Ziel von Europol muss sein: Ausbau im Sinne einer operativen europäischen Polizei und Ausstattung mit exekutiven Befugnissen (Vorbild: BKA).
2. ABER: solange eine Kontrollinstanz fehlt, muss sich die Tätigkeit auf das Sammeln und koordinieren von Daten beschränken, also keine operativen Befugnisse!
3. Europol sollte durch das Europäische Parlament kontrolliert werden und Maßnahmen sollten durch den Europäischen Gerichtshof erster Instanz überprüft werden können bzw. die Zusammenarbeit sollte sich nicht auf die intergouvernementale Ebene beschränken, sondern in die erste Säule der Gemeinschaft übernommen werden.
4. Datenschutz- und Kontrollmechanismen müssen eingerichtet werden, die die gesammelten Daten von Straftätern etc. überprüfen zur Wahrung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung.
5. Die im Immunitätsprotokoll festgeschriebene Ausnahmeregelung für Europol ist dringend zu korrigieren.
II. Eurojust
1. Wir brauchen eine europäische Ermittlungs- und Polizeiexekutive für einen genau zu definierenden Bereich von Deliktstypen (Menschen- u. Drogenhandel, Terrorismus und Geldwäsche).
2. Die Zuständigkeiten von Eurojust sollten sich nicht auf die Bekämpfung schwerer Formen der organisierten Kriminalität beschränken, sondern sämtliche Straftaten von erheblicher Bedeutung erfassen.
3. Eurojust sollte nicht nur ein Dokumentations- und Informationszentrum sein, das auf abstrakter Ebene mit den einzelstaatlichen Behörden zusammenarbeitet, sondern an der Ermittlungen strafrechtlicher Fälle beteiligt werden.
4. Notwendig ist der Ausbau der justiziellen Zusammenarbeit im Strafrechtsbereich, einschließlich der Angleichung des Strafmaßes für internationale und grenzüberschreitende Straftaten, und die Einrichtung einer europäische Staatsanwaltschaft, die die Zusammenarbeit der nationalen Strafverfolgungsbehörden und die Tätigkeit von Europol begleitet.
5. Wir empfehlen: Die Entwicklung einer europäischen Strafprozessordnung, eines europäischen Strafrechts.
Europol und Eurojust
BuKo_2004_Beschluss_S_1.pdf
Metadaten:
Herunterladen der Datei: BuKo_2004_Beschluss_S_1.pdf (pdf), 35 KB)