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Aktuelles

05.06.2019

Das sog. „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ – eine kurze migrationsrechtliche Bewertung

Beschlossen vom Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen am 03.06.2019 auf Antrag der ASJ NR.


Einleitung:
Die Einwanderungssituation der letzten fünf Jahre hat Deutschland und die Europäische Union zweifelsohne in vielen Bereichen an ihre Grenzen gebracht. Die nicht regulierte Zuwanderung nach Deutschland kann nicht der Schlüssel zur Lösung der Probleme sein, die letztendlich Menschen
zur Flucht nach Deutschland bewegen. Auch die Anzahl vollziehbar ausreisepflichtiger Menschen, die sich aktuell im Bundesgebiet aufhalten - nach diesseits ungeprüften Angaben sollen es ca. 240.000 Personen sein - zwingt Deutschland zum politischen Handeln.


Grundlage einer gelungenen Zuwanderung ist die Erhaltung unserer eigenen rechtsstaatlichen Werte und die Integration derjenigen Personen, die im Bundesgebiet künftig bleiben werden und ein Teil unserer aufgeklärten Gesellschaft werden wollen.


Aus diesem Grund sollte die SPD, allen voran die Bundestagsfraktion, den aktuell diskutierten Vorschlag des „Geordnete-Rückkehr“-Gesetzes vehement ablehnen. Denn wir geben mit diesem Gesetz grundlegende Werte und Rechte unseres Staates auf, bekämpfen rechtswidrige Zuwanderung nicht und vernichten zugleich Integrationserfolge.

Begründung:

Dies soll wie folgt begründet werden:

1.) Die Duldung und die Einführung der „Duldung für Personen mit ungeklärter Identität“


Die Duldung ist die „vorübergehende Aussetzung der Abschiebung“, vgl. § 60 a AufenthG. Die Rechtsprechung des BVerwG (u.a. BVerwG, Urteil vom 25.09.1997, 1 C 3/97, BVerwGE 105, 232; BVerwG, Urteil vom 21.03.2000, 1 C 23/99, BVerwGE 111, 62) sah und sieht vor, dass es grds. keinen aufenthaltsrechtlichen Status unterhalb einer Duldung geben kann: Entweder schiebt die Ausländerbehörde jemanden ab oder er/ sie wird geduldet. Dies soll in erster Linie für Rechtssicherheit sorgen. Wahrscheinlich wurde daher auch das ursprünglich im Referentenentwurf
enthaltene Vorhaben, einen Status unterhalb der Duldung einzuführen, wieder aufgegeben.


Die Einführung einer Duldung für Personen mit „ungeklärter Identität“ (geplant in § 60 b AufenthG) bringt Deutschland migrationsrechtlich nicht voran, auch wenn das Problem der unterlassenen Mitwirkung der Betroffenen bei der Identitätsaufklärung sowie der Passbeschaffung ein reales Problem ist, welches man angehen muss.


Grundsätzlich werden auch Personen, die ihre Identität nicht preisgeben,
nach dem AsylBLG leistungsberechtigt bleiben, vgl. § 1 S. 1 Nr. 4 AsylBLG. Das verfassungsrechtliche Sozialstaatsprinzip und die Menschenwürde setzen hier Grenzen, die nicht durch eine einfache
Gesetzesänderung umgangen werden können (vgl. u.a. BVerwG, Urteil vom 18.07.2012, 1 BvL 10/10, BVerfGE 132, 134 – „menschenwürdiges Existenzminimum“).


Personen mit einer solchen Duldung sollen künftig nicht arbeiten dürfen und grds. auch keine Ausbildung machen können. Dies gilt allerdings in der Regel auch jetzt schon, vgl. § 60 a Abs. 6 S. 1 Nr. 2, S. 2 AufenthG. Ferner ist ein Bußgeld angedacht, wenn Personen nicht bei der Passbesorgung mitwirken. Wer jedoch nicht arbeiten darf und auch kein Geld hat, den wird man schwerlich mit einem Bußgeld zur Mitwirkung bewegen können.

Kritik:
Das Ziel, vollziehbar ausreisepflichtige Personen durch die „Duldung light“ zur Passbeschaffung zu bewegen, ist unrealistisch. Diejenigen Personen, die im Bundesgebiet insbesondere durch häufige
Straftaten auffallen, und an deren Rückführung ein echtes Interesse bestehen sollte, werden durch diese Regelung nicht getroffen. Häufig werden diese Menschen ohnehin nicht legal arbeiten und auf
Sozialleistungen nicht angewiesen sein. Die Durchsetzung von Bußgeldern ist hier jedenfalls illusorisch.


Allerdings werden viele andere Menschen an den Folgen dieser neuen Form der Duldung leiden. Denn diejenigen, die zwar kein Asylgründe hatte (bzw. deren Gründe ggf. nur nicht anerkannt wurden), aber alles versuchen, um sich ein legales Leben in Deutschland aufzubauen, werden künftig nicht mehr arbeiten können und auch nicht in die Ausbildungsduldung wechseln dürfen (Stichwort: Spurwechsel). Damit strafen wir diejenigen ab, die zu einem Teil dieser Gesellschaft hätten werden können und treiben sicherlich viele in die wirtschaftliche Illegalität (Stichwort: „Schwarzarbeit“).

2.) Die Neuregelungen über die Haft.

Wer die Regelungen zur Haft ändert, muss hohe verfassungsrechtliche Hürden überwinden. Art. 104 GG aber auch Art. 5 EMRK setzen hier verbindliche Grenzen, der Richtervorbehalt ist von Verfassungs wegen zu berücksichtigen.


Da die geplanten Änderungen umfassend sind, soll hier nur ein Beispiel erörtert werden: Insbesondere das neue Rechtsinstitut der „erweiterten Vorbereitungshaft“ dürfte verfassungsrechtlich bedenklich sein. Es soll dazu dienen, die Abschiebungshaft zu ermöglichen, wenn der Ausländer/die Ausländerin die Vorbereitung der Durchsetzung der Ausreisepflicht oder das Abschiebungsverfahren umgeht oder behindert. Die Vorschrift soll vor allem Personen betreffen, die ihre Identität nicht offenlegen bzw. darüber täuschen.


Kritik:
Personen, deren Identität nicht geklärt ist, können fast nie abgeschoben werden. Denn es findet sich gerade kein Staat, der bereit ist, Personen aufzunehmen, die er nicht als seinen Bürger identifizieren kann. Schon aus diesem Grund sind diese Menschen zu dulden (künftig ggf. in der Form der Duldung für Personen mit „ungeklärter Identität“).


Bereits dieser Umstand lässt eine „erweiterte Vorbereitungshaft“ leerlaufen. Denn wenn bereits zum Zeitpunkt der Haftanordnung völlig unklar ist, ob die Abschiebung überhaupt je erfolgen kann – also das Ziel der Haft überhaupt erreicht werden wird -, kann keine Haftanordnung erfolgen, da diese in jedem Fall unverhältnismäßig wäre.


Daher werden hiervon wohl nur diejenigen Personen betroffen sein, die ehrlich sind und ihre Pässe besorgen und die Identität offenlegen. Dies sind in der Regel aber auch diejenigen Personen, die ein Teil dieser Gesellschaft werden könnten – wenn man sie nur ließe.


Weiterhin stellt sich die Frage, ob in diesen Fällen nicht die Beiordnung eines Rechtsbeistands zwingend erfolgen müsste. Da dies im Strafrecht in Haftsachen stets der Fall ist, sollte dies konsequenterweise auch hier erfolgen. Denn viele der Betroffenen sind rechtsunkundig, sprechen
schlecht Deutsch, verfügen über keine finanziellen Mittel und sind auch in Deutschland teilweise erniedrigenden Behandlungen ausgesetzt (siehe die letzte Stellungnahme der Anti-Folter-Kommission des Europarats). Ferner ist die Rechtswidrigkeit der Haftanordnung in Abschiebungsfällen ein häufiges Problem. Zur Frage der Beiordnung eines Rechtsbeistands enthält das Gesetz jedoch nichts.

3.) Die Verschärfung des Ausweisungsrechts.

Das neue Gesetz sieht ferner die Verschärfung des Ausweisungsrechts vor. Die Ausweisung ist – sehr stark verkürzt - das Erlöschen eines bestehenden Aufenthaltstitels im Falle einer strafrechtlichen Verurteilung, vgl. § 53 AufenthG. Im Rahmen einer Ausweisungsentscheidung wird das persönliche Bleibeinteresse des Ausländers gegen das öffentliche Ausweisungsinteresse abgewogen.


Die Ereignisse in Köln in der Silvesternacht 2015/16 bewogen den Gesetzgeber, das Ausweisungsrecht erheblich zu verschärfen. Durch die damalige Gesetzesanpassung wurde § 53 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AufenthG modifiziert. Aktuell lautet die Norm:


„Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt
schwer, wenn der Ausländer wegen einer oder mehrerer
vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von
mindestens einem Jahr verurteilt worden ist."

Vor den Ereignissen in Köln lag die Dauer der Freiheitsstrafe bei zwei Jahren, so dass ein entsprechendes Ausweisungsinteresse erst bei einer signifikanten Freiheitsstrafe gegeben war.


Die aktuelle Regelung soll nun erneut angepasst und erheblich verschärft werden. Künftig soll das „schwere Ausweisungsinteresse“ des § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG schon bei Freiheitsstrafen von sechs Monaten (!) gegeben sein.


Kritik:
Die Bundesregierung ändert hier nicht das Asylrecht, sondern das Aufenthaltsgesetz. Betroffen von diesen Änderungen sind nicht neu hinzukommende Personen, die vermeintlich Schutz in Deutschland
suchen und dann massiv straffällig werden, sondern alle Ausländer (!), die im Bundesgebiet leben. So kann z.B. ein junger Albaner, der seit 20 Jahren in Deutschland lebt, dessen Familie hier ist und der keine Beziehungen in seine alte Heimat unterhält, von der Verschärfung betroffen sein, wenn er sich unerlaubt von einem Unfallort entfernt und zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt wird.


Neben der Frage der Ausweisung kann hierdurch auch, selbst wenn die Ausweisung abgewendet werden sollte, die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis abgelehnt werden (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG).

Dieser Ansatz ist brutal und zerstört bestehende Integrationserfolge. Er verursacht bei diesen Menschen das Gefühl, nicht dazu zu gehören, da auch kleinere Verstöße das „wir“ und „ihr“ sehr deutlich werden lassen.


In diesem Zusammenhang ist vor allem herauszustreichen, dass in erster Linie Menschen betroffen sein werden, die bereits legal hier leben und schon eine Aufenthaltserlaubnis besitzen, welche dann durch die Ausweisung erlöschen kann (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG).


Diejenigen, die hier unrechtmäßig aufhältig und vollziehbar ausreisepflichtig sind, schwere Straftaten begehen und ihre Identität nicht preisgeben, sind von diesen Verschärfungen gerade nicht betroffen, da diese Personen schon keine Aufenthaltserlaubnis besitzen. Die Verschärfung des Ausweisungsrechts ist daher kein Mittel, um dieses Problemfeld zu beackern, sondern vielmehr geeignet, die Gesellschaft weiter zu spalten.

4.) Fazit:

Das „Geordnete-Rückkehr“-Gesetz spricht in seiner Zielsetzung tatsächlich bestehende Probleme an, die vorgeschlagenen Lösungsansätze gehen aber vollständig an dieser Zielsetzung vorbei. Es werden in erster Linie diejenigen Menschen von den Regelungen betroffen sein, die ein wertvoller Teil dieser Gesellschaft werden könnten und die ihre Identität nur deshalb nicht preisgeben, weil das, was sie in der Heimat erwartet, viel schlimmer ist, als das „Leben in der Duldung“ (u.a. Flucht aufgrund von Klimaveränderungen).


Diejenigen Personen, die ihre Identität nicht offenlegen und hier durch massive Rechtsverstöße auffallen, werden sich durch eine „Duldung-light“ nicht beeindrucken lassen und von den Verschärfungen des Haft- und Ausweisungsrechts in der Regel nie betroffen sein.


Gleichzeitig rütteln man u.a. mit den geplanten Haftverschärfungen sowie den Kürzungen der Sozialleistungen an grundlegenden Werten, die Verfassungsrang haben; die Verschärfungen des Ausweisungsrecht gefährden in Teilen bereits erzielte Integrationserfolge in erheblichem
Maße und spalten die Gesellschaft zunehmend.


Aus diesen Gründen verletzt das „Geordnete-Rückkehr“-Gesetz grundlegende, sozialdemokratische Werte und ist daher in dieser Form abzulehnen.