Abweichungen vom Regierungsprogramm und von der Beschlusslage der Partei, nicht zum Gegenstand einer Stellungnahme zu machen. Wir könnten eine größere Anzahl konkreter Punkte benennen, bei denen der Vertrag nicht den Anforderungen an eine soziale und liberale Rechtspolitik entspricht, wie sie in der Beschlusslage der ASJ und seit vielen Jahren auch in der Beschlusslage der SPD zum Ausdruck kommt. Andere haben dies bereits getan.
Wir müssen aber zugestehen, dass dieser Koalitionsvertrag viele Elemente enthält, die sozialdemokratisch geprägt sind und ohne eine sozialdemokratische Verhandlungsposition nicht vorstellbar wären. Viele kritische Punkte sind offen und wenig konkret formuliert; hier ist erkennbar, dass die vertragschließenden Parteien die Konkretisierung der Regierungspraxis bzw. der Umsetzung im Bundestag überlassen wollen. Das ist erfahrungsgemäß gefährlich, weil die Ampel-Koalition wesentlich an der Frage der Finanzierung wichtiger und richtiger Aufgaben der Regierung gescheitert ist. Das ist ungefährlich, soweit die Finanzierung betroffen ist, denn der Bundestag hat einen Finanzierungsrahmen von Verfassungsrang geschaffen, der der Regierung große Möglichkeiten einräumt.
Wenn wir in der aktuellen angespannten innenpolitischen Lage, in der sich für ein Verbot der AfD keine Mehrheiten im alten Bundestag gefunden haben, in der zugleich angespannten außen- und sicherheitspolitischen Lage, in der der Krieg in der Ukraine ohne aktuelle Verhandlungsoptionen des Aggressors Russland fortgesetzt und Europa sich als einige und schlagkräftige Friedensmacht neu erfinden muss, keine Empfehlung aussprechen, diesem Koalitionsvertrag zuzustimmen oder ihn abzulehnen, dann vor allem in der Erkenntnis, dass andere Regierungsoptionen angesichts des Wahlergebnisses schlechter wären. Jede Genossin, jeder Genosse entscheidet selbst, ob er diese Koalition auf der Grundlage dieses Vertrages richtig findet oder nicht.
Aber unsere Stellungnahme dient einem weiteren Zweck, den wir auch allen nahe legen wollen, die von dem Vertrag nicht nur begeistert sind:
Dieser Vertrag ist ein Kompromiss. Er beinhaltet viele Absichten, deren genaue Inhalte von den vertragschließenden Parteien - nicht erst im nachhinein, sondern von der Union bereits jetzt - anders interpretiert werden, als es dem Wortlaut entspricht. Viele Erklärungen bleiben auch unklar.
Wir als Gliederung der SPD werden uns nicht vorhalten lassen, dem Vertrag zugestimmt zu haben und damit seiner Umsetzung eins zu eins folgen zu müssen. Wir behalten uns vor und empfehlen allen Genossinnen und Genossen, die an dem Mitgliedervotum teilnehmen, es auch so zu halten, dass wir jede Handlung einer auf der Grundlage dieses Vertrages entstehenden Regierung und der sie tragenden Bundestagsfraktionen darauf überprüfen werden, ob dies unserem Verständnis des Vertrages entspricht oder wir aus der Partei heraus für unsere Positionen streiten müssen.